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Problem:
Genießen Bäume, die an der Nachbargrenze unter Verletzung des Abstandsgebots gepflanzt wurden Bestandsschutz?
Antwort:
Auch ein alter Baum genießt gewissermaßen Bestandsschutz, wenn der Baum nur alt genug ist, es sei denn der Baum muss aus Gründen der Verkehrssicherungspflicht gefällt werden. Bei Bäumen beträgt die Verjährungsfrist gemäß § 26 Abs. 1 Satz 2 Nachbarrechtsgesetzt BW zehn Jahre. Der Lauf der Verjährungsfrist beginnt mit dem 1. Juli nach der Pflanzung. Geht der Nachbar nicht binnen dieser Zehnjahresfrist gegen den Baum vor, ist sein Beseitigungsanspruch verjährt. Die Verjährung des Beseitigungsanspruchs hat zur Folge, dass der benachteiligte Nachbar den Baum für alle Zeiten dulden muss. So sieht es jedenfalls das OLG Karlsruhe mit Urteil vom 02.03.2023 (Az.12 U 165/22).
Der Entscheidung lag folgender Fall zugrunde:
Der Kläger und die Beklagte sind Eigentümer zweier Nachbargrundstücke. Im Abstand von 0,5 bis 3 Meter zur Grundstücksgrenze des Klägers wachsen auf dem Beklagtengrundstück zwei über 10 Meter hohe Kiefern, die über 35 Jahre alt sind. Der Kläger fordert die Beklagte im Jahr 2019 mit Anwaltsschriftsatz zur Beseitigung der Bäume auf. Zur Begründung trägt er vor, die Bäume seien wegen Trockenheit stark angegriffen und nicht mehr standsicher. Aufgrund des Winddrucks bestehe die akute Gefahr, dass die Bäume auf sein Wohnhaus stürzen. Wegen der von den Bäumen ausgehenden Immissionen durch Nadeln, Zapfen und Pflanzenreste sei sein Grundstück einer außerordentlichen Belastung ausgesetzt, da regelmäßig die Dachrinnen verstopfen und die Gehweg- und Terrassenflächen mit erheblichem Aufwand gereinigt werden müssten.
In erster Instanz war der Kläger erfolgreich. Das Landgericht Karlsruhe verurteilte die Beklagte nach Einholung eines Sachverständigengutachtens die beiden Bäume zu fällen. Der Anspruch ergebe sich aus § 1004 Abs. 1 S. 2 BGB. Die von den Bäumen ausgehenden Nadel-, Zapfen und Astimmissionen würden erhebliche Beeinträchtigungen im Sinne von § 906 Abs. 1 BGB darstellen. Die Beklagte sei selbst 35 Jahre nach Pflanzung als Störerin anzusehen, weil sich die Nutzung ihres Grundstücks nicht im Rahmen ordnungsgemäßer Bewirtschaftung halte. Denn der Grenzabstand für großwüchsige Kiefern gemäß § 16 Abs. 1 Nr. 5 NRG BW sei nicht eingehalten. Damit habe die Beklagte das Risiko geschaffen, dass die natürlichen Immissionen der Bäume zur Beeinträchtigung des Nachbargrundstücks führten.
Dem erteilt das OLG Karlsruhe nun eine Absage: Die Bäume dürfen stehen bleiben, weil sie alt genug sind! Hierzu führt das OLG Karlsruhe aus: „Ein Beseitigungsanspruch des Klägers aus § 16 Abs. 1 Nr. 4a, Nr. 5 NRG ist wegen Verjährung nicht durchsetzbar, § 214 Abs. 1 BGB.“ Und weiter: „Ob der Kläger einen Anspruch auf Entfernung der Bäume hatte, kann dahinstehen. Ein solcher wäre jedenfalls nicht mehr durchsetzbar.“
In der Sache, so das OLG Karlsruhe, gehe es darum, zukünftige Beeinträchtigungen des Eigentums in Gestalt des Befalls mit Nadeln, Zapfen und Pflanzenteilen abzuwehren. Der Sachverständige habe die Standsicherheit und Verkehrssicherheit der Bäume als ausreichend bezeichnet, weshalb der Kläger ein Fällen der Bäume mit der Begründung, diese drohten auf sein Wohnhaus zu stürzen, nicht verlangen kann. Gehe es allein um die Abwehr von Einwirkungen durch das Abfallen von Laub, Nadeln, oder Pflanzenteilen, so stehe die Verjährung des landesrechtlichen Beseitigungsanspruchs dem Anspruch aus § 1004 Abs. 1 BGB auf Entfernung der Bäume entgegen.
Fazit:
Infolge der Verjährung des Beseitigungsanspruchs muss der Nachbar den rechtswidrigen Zustand hinnehmen und das Höhenwachstum der Bäume dulden. Unter Umständen darf er den Überwuchs auf seinem eigenen Grundstück wegschneiden. Gefällt bekommt er den Baum jedoch nicht mehr. Dieser genießt nach 10 Jahren quasi Bestandsschutz. Es sei denn der Baum hat keine ausreichende Standsicherheit und muss aus Gründen der Verkehrssicherungspflicht beseitigt werden. Daher: Aufgemerkt, sobald der Nachbar einen Baum pflanzt! Bäume müssen gebogen werden, solange sie jung sind…
David Hellmanzik
Rechtsanwalt