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Leitsatz des BAG:
Die bloße Vorlage des Einlieferungsbelegs eines Einwurf-Einschreibens und die Darstellung seines Sendungsverlaufs begründen für sich allein genommen ohne die Vorlage einer Reproduktion des Auslieferungsbelegs keinen Anscheinsbeweis für einen Zugang der eingelieferten Postsendung beim Empfänger. Damit bestätigt es das LAG Baden-Württemberg als Vorinstant.
Zum Hintergrund der Entscheidung:
In Kündigungsschutzverfahren wird oft darüber gestritten, ob und wann eine Kündigung, insbesondere bei Kündigungen per Einschreiben, der gekündigten Person zugegangen ist.
Das Problem für den Arbeitgeber besteht darin, dass er den Zugang der Kündigung beim Arbeitnehmer beweisen muss. Relevant ist die Frage, wann die Kündigung dem Arbeitnehmer zugestellt wurde auch für die Frage, ob die Kündigung fristgerecht mit der Kündigungsschutzklage angegriffen wurde - dies ist nur innerhalb von drei Wochen nach Zugang der Kündigung möglich,§ 4 Satz 1 KSchG.
Sachverhalt:
Der Arbeitgeber kündigte am 26.07.2022 das Arbeitsverhältnis außerordentlich fristlos und hilfsweise ordentlich. Die von der Kündigung betroffene Arbeitnehmerin bestritt den Zugang der Kündigung, sie bestritt also überhaupt eine Kündigung erhalten zu haben.
Der Arbeitgeber hat dargelegt, dass zwei seiner Mitarbeiterinnen das Kündigungsschreiben gemeinsam in einen Briefumschlag einkuvertiert hätten, eine Mitarbeiterin habe den Umschlag zur Post gebracht und dann am 26.07.2022 als Einwurf-Einschreiben persönlich aufgegeben. Er fügte den im Internet abrufbaren "Sende-Status" bei, aus dem sich ergäbe, dass das Schreiben mit der entsprechenden Sendungsnummer der Klägerin am 28.07.2022 zugestellt worden sei. Deshalb bestehe der Anscheinsbeweis, dass die Klägerin die Kündigung am 28.07.2022 erhalten habe.
Entscheidung des BAG:
Das BAG hatte die Frage zu entscheiden, ob ein Anscheinsbeweis für den Zugang des Kündigungsschreibens per Einwurfeinschreiben angenommen werden kann.
Dabei hat es sich an die Rechtsprechung des BGH orientiert. Der BGH geht von einem Anscheinsbeweis für den Zugang von Einwurf-Einschreiben aus, wenn die Postzustellung nach einem standardisierten Verfahren erfolgt und vom Arbeitgeber nachgewiesen werden kann, dass das beschriebene Verfahren eingehalten worden ist.
Im konkreten Fall lehnte das BAG aber den Anscheinsbeweis für den Zugang des Kündigung-Einschreibens ab. Es argumentiert, dass der Arbeitgeber nichts dazu vorgetragen habe, wie das Zustellverfahren mit dem Einwurf-Einschreiben bei der Deutschen Post AG ablief und rügte insbesondere, dass der sog. Auslieferungsbeleg vom Arbeitgeber nicht vorgelegt worden ist. Somit habe der Arbeitgeber nicht beweisen können, dass die Mitarbeiterin überhaupt eine Kündigung erhalten habe. Damit war die Kündigungsschutzklage erfolgreich, das Arbeitsverhältnis bestand fort.
Konsequenz:
Das BAG hat mit dieser Entscheidung die Anforderungen an den Zugang von Kündigungen, die per Einwurf-Einschreiben versandt werden, konkretisiert.
Nur dann, wenn der Arbeitgeber nachweist, dass im Einzelnen das standardisierte Zustellverfahren der Deutschen Post AG vollständig eingehalten ist, greift zu seinen Gunsten der Beweis des ersten Anscheins, dass die Kündigung zugegangen ist. Hierzu reichen aber nicht nur die Vorlage des Einlieferungsbeleges sowie des Ausdrucks der Sendungsverfolgung aus dem Internet ("Die Sendung wurde am 28.07.2022 zugestellt.") aus, vielmehr muss der Arbeitgeber im Prozess zusätzlich zwingend auch den sog. Auslieferungsbeleg vorlegen, auf dem der Postangestellte die Zustellung mit seiner Unterschrift unter Datumsangabe die Zustellung bestätigt. Den Auslieferungsbeleg konnte der Arbeitgeber nicht vorlegen.
Konsequenz:
Nach der BAG-Entscheidung benötigt der Arbeitgeber zum Nachweis des Zugangs eines Einwurf-Einschreibens neben dem Einlieferungsbeleg, dem Ausdruck des Sendeverlaufs in jedem Fall auch eine Kopie des Auslieferungsbelegs, aus dem sich die Person des Zustellers nebst genauem Zustelldatum ergibt.
Praxisprobleme:
Auslieferungsbelege sind nur zeitlich befristet für einen Zeitraum von 15 Monaten nach Zustellung anforderbar! Nach Auskunft der Deutschen Post AG wird seit dem 01.01.2025 überhaupt gar kein Auslieferungsbeleg mehr ausgestellt, die Deutsche Post AG rät deshalb, Kündigungen per „Einschreiben-Rückschein“ zu versenden.
Damit aber ist die Entscheidung des Bundesarbeitsgerichts vom 30.01.2025 von der Realität überrollt worden: Wenn von der Deutschen Post AG kein Auslieferungsbeleg mehr ausgestellt wird, wird der Arbeitgeber nie den Zugang der Kündigung per Einwurf-Einschreiben beweisen können!
Von der postalischen Versendung von Kündigungsschreiben mit normalen Brief, per „Einwurf-Einschreiben“ oder mit einem „Einschreiben mit Rückschein“ ist ebenfalls dringend abzuraten, da die Gefahr besteht, dass der Arbeitgeber den Zugang der Kündigung in diesen Fällen nicht beweisen kann!
Praxistipp:
Auf der sicheren Seite sind Arbeitgeber immer, wenn sie Kündigungen dem anwesenden Arbeitnehmer persönlich mit Empfangsbestätigung übergeben. Bei abwesenden Arbeitnehmern sollte man sich eines sog. "reitenden Boten" bedienen, so dass die Dokumentation von der Einkuvertierung der im Original unterzeichneten Kündigung in den Briefumschlag bis zu dessen Auslieferung durch den Boten lückenlos dokumentiert wird - mit einem von dem Boten zu unterzeichnenden Zustellprotokoll und Fotos, zumindest vom Kündigungseinwurf in den Briefkasten.
Wem dieser Aufwand zu groß ist, handelt nach dem Motto: "No Risk - No Fun": Er kann den Kündigungszugang nicht beweisen und setzt sich dadurch dem Risiko hoher Verzugslohnansprüche aus.
Ralf Regel
Fachanwalt für Arbeitsrecht