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Leitsatz des BAG:
Erlangt eine Arbeitnehmerin schuldlos erst nach Ablauf der Klagefrist des § 4 Satz 1 KSchG Kenntnis von einer beim Zugang des Kündigungsschreibens bereits bestehenden Schwangerschaft, ist die verspätete Kündigungsschutzklage auf ihren Antrag gemäß § 5 Abs. 1 Satz 2 KSchG nachträglich zuzulassen.
Zum Hintergrund der Entscheidung:
Mitarbeitende in Unternehmen genießen in Betrieben mit mehr als zehn Mitarbeitern Kündigungsschutz, einen noch höheren Sonderkündigungsschutz genießen schwangere Mitarbeiterinnen gemäß § 17 MuSchG: Nach § 17 Abs. 1 Satz 1 ist die Kündigung gegenüber einer Frau u. a. unzulässig während ihrer Schwangerschaft, wenn dem Arbeitgeber zum Zeitpunkt der Kündigung die Schwangerschaft bekannt ist oder - was der häufigste Anwendungsfall ist, wenn dem Arbeitgeber innerhalb von 2 Wochen nach Zugang der Kündigung von der Mitarbeiterin deren Schwangerschaft mitgeteilt wird.
In der Praxis aber stellt sich immer wieder die Frage, was wird, wenn die schwangere Mitarbeiterin zum Zeitpunkt des Zugangs der Kündigung noch gar nichts von ihrer Schwangerschaft wusste oder aber nur einen positiven Test vorliegen hat, aber noch kein ärztliches Attest, dass das Bestehen der Schwangerschaft bestätigt.
Sachverhalt:
Das BAG geht in diesen Fällen davon aus, dass grundsätzlich zwar die Drei-Wochen-Frist zur Erhebung der Kündigungsschutzklage gemäß § 4 Satz 1 KSchG eingehalten werden muss.
Diese Frist aber kann in den Fällen “verlängert" werden, wenn die schwangere Mitarbeiterin noch kein Attest vorliegen hat, das die Schwangerschaft zu dem Zeitpunkt bestätigt, wenn die Kündigung zugeht, sondern die schwangere Mitarbeiterin lediglich einen positiven Schwangerschaftstest gemacht hat.
In dem entschiedenen Fall hatte die Arbeitnehmerin am 14. Mai 2022 ein Kündigungsschreiben erhalten, am 29. Mai 2022, somit 2 Wochen später, machte sie einen Schwangerschaftstest mit positivem Ergebnis. Am 13. Juni 2022 erhob sie Kündigungsschutzklage und beantragte zeitgleich die nachträgliche Zulassung gemäß § 5 Abs. 1 Satz 2 KSchG, weil sie die Drei-Wochen-Frist zur Erhebung der Kündigungsschutzklage nicht eingehalten hat. Erst am 17. Juni 2022 hat sie einen Arzttermin erhalten, bei dem der Gynäkologe feststellte, dass die Klägerin bereits in der 8. Schwangerschaftswoche war, die Schwangerschaft somit am 28. April begann. Damit hat die Schwangerschaft also objektiv schon vor dem Zugang der Kündigungserklärung bestanden.
Entscheidung des BAG:
Das BAG hatte zwei Frage zu beantworten: War die Drei-Wochen-Frist zur Erhebung der Kündigungsschutzklage versäumt, weil die Kündigungsschutzklage bis zum 06. Juni 2022 hätte eingehen müssen? Wenn die Frist versäumt war, lag ein Grund zur nachträglichen Klagezulassung gemäß § 5 Abs. 1 Satz 2 KSchG vor?
Das BAG hat mit dem Wortlaut des § 5 Abs. 1 Satz 2 KSchG argumentiert; dort heißt es "… die Klage ist auf Antrag nachträglich zuzulassen], wenn eine Frau von ihrer Schwangerschaft aus einem von ihr nicht zu vertretenen Grund erst nach Ablauf der Frist des § 4 S. 1 Kenntnis erlangt."
Das BAG verlangt eine positive Kenntnis der Schwangeren von ihrer Schwangerschaft. Nach Auffassung des BAG kann diese positive Kenntnis erst mit dem Vorliegen eines ärztlichen Attestes angenommen werden. Bloße "Ahnungen" oder Vermutungen z. B. aufgrund eines Schwangerschaftstestes reichen nicht aus, um die positive Kenntnis der Schwangeren von ihrer Schwangerschaft zu unterstellen und für den Beginn des Fristenlaufes anzunehmen.
Konsequenz:
Die Mitarbeiterin benötigt eine ärztliche Bescheinigung, aus der sich ergibt, ab wann die Schwangerschaft besteht. Erst dann hat sie positive Kenntnis davon, dass sie schwanger ist. Ist die Drei-Wochen-Frist abgelaufen zur Klageerhebung abgelaufen, so ist grundsätzlich die nachträgliche Klagezulassung möglich. Nach Auffassung des Gerichts konnte man der Arbeitnehmerin auch nicht vorwerfen, dass sie keinen früheren Arzttermin ausgemacht bzw. bekommen hat; die Terminvergabe durch die gynäkologische Praxis geht nicht zu ihren Lasten.
Ralf Regel
Fachanwalt für Arbeitsrecht